Singen kann ich absolut nicht – habe ich immer geglaubt. Bis ich im Klangforum das erste große Konzert meines Lebens mitsingen durfte. Am Ende ist pure Leidenschaft mit vielen Herzschlagmomenten draus geworden.

„Anspruchsvoll!” leuchtet grell das Warnschild in meinem Kopf, als zehn Minuten im neuen Chor überstanden sind. Und das war erst das Einsingen. „Tenor“ ist Daniels Urteil über meine Stimme, „Das höre ich an deiner Sprechstimme“. Weil’s der Profi sagt, füge ich mich in mein Schicksal, auch wenn die Bässe in meinen Ohren so viel männlicher klingen.

Noten – auch so ein Thema

Das Heft mit den Noten zu einer Stunde Mozart-Requiem stimmt mich nicht zuversichtlich. Ich bin Noten-Analphabet. Und es sind entsetzlich viele Noten. Also: Nix anmerken lassen, lächeln und immer auf die Nachbarn hören. Immerhin zeigen die Dinger an den Notenlinien wann es hoch oder runter geht. Das ist schon mal ein Anfang. Das Kleinzeug am Rand scheint allerdings nur den anderen etwas zu sagen. Mir leider nicht.

Ich erfinde einfach meine eigenen kleinen Emojis und verteile sie großzügig. Bald sehen die Zeilen aus wie die WhatsApp Nachrichten meiner Mutter. Ein am Rand gekritzeltes Fernglas heißt: „Guck den Chorleiter an, sonst wirst du spontan zum Solosänger!“ Mein schlimmster Albtraum. Also ein seeeehr wichtiges Zeichen.

Wo ist bloß mein Ton?

Alle stehen konzentriert. Erwartungsvolle Stille. Der Chorleiter hebt die Arme – und ich habe meinen Anfangston nicht. Sekunden der Verzweiflung. Irgendwas singen? Mund bewegen ohne Töne? Es fiept in meinem Kopf herum, nichts kommt mir passend vor.

Da, in allerletzter Sekunde summt mein Nachbar ganz leise. Eine Welle der Dankbarkeit durchflutet mich. So entstehen Freundschaften.

Dann kommt die Höhenangst

Tenöre singen allgemein hoch. Das war mir schon klar. Ich lerne, dass es drei Tonlagen gibt: Hoch, sehr hoch und Halsschmerz. Vor dem Schmerz kommt die Höhenangst. Der Nachbar klingt wie ein Weihnachtsengel und ich wie gefoltertes Meerschwein. Ich schiele zu den Bässen rüber. Das wird ein langer Weg.

Mitsänger – Wettstreit und Freundschaft

Männer sind im Chor oft in der Minderzahl. Das macht uns irgendwie begehrt (habe ich mal gehört). Die Folge ist, dass jeder Einzelne zählt. Und jeder Fehler wird gnadenlos hörbar. Es ist einfach ein Unterschied, ob zwei Mitsänger auf der Suche nach Erleuchtung sind, oder in einer Gruppe von Dreißig laissez faire herrscht.

„Mitgehangen – mitgefangen“ oder „Einer für Alle, alle für Einen“ sind so Gedanken, die mir kommen. Wie wunderbar, wenn der Nachbar die Stimme schon kann, da hänge ich mich schamlos einfach dran. Ich lerne das schon noch.

Probe Nummer 999 – ich glaube, jetzt habe ich’s

Dann, nach endlosem Proben (es waren eigentlich etwa zehn): Ich hab‘ meinen Ton! Ich, ganz alleine! Vor lauter Freude summe ich leise. Schon bekomme ich einen dankbaren Blick von der Seite geschenkt. Ja, sogar die Melodie höre ich in meinem Inneren. Das Beste ist: Sie passt zu den Noten. Ich werde hier noch zum Sänger!

Die Generalprobe – ernsthaft jetzt?

Noch nie war ich Teil eines Konzerts in der Größe. Hundertdreißig Sängerinnen und Sänger, ein komplettes Orchester und zwei große Kirchen mit fast tausend Gästen. Und nur noch eine letzte Chance vor dem Konzert: Die Generalprobe.

Der Auftritt soll bekanntlich gut werden, wenn die Generalprobe schiefläuft. Dann haben wir super Karten. Die Anspannung hat einen Riesenvorteil: Jeder Fehler, der jetzt passiert, bleibt im Gedächtnis. Und vor Allem: Wir wissen, dass wir uns echt anstrengen müssen, denn überprobt sind wir nicht.

Konzertwochenende

Auf dem Weg zum Podest kommen mir Gladiatoren in den Sinn. Die Noten unterm Arm, marschieren wir in einer langen Kette in die Arena. Ausverkauft bis auf den letzten Platz.

Unser Chorleiter Daniel geht zum Pult. Absolute Stille. Er wartet. Noch gespanntere Stille. Dann hebt er die Arme. Der Einstieg muss sitzen, das haben wir geübt. Gänsehaut. Es funktioniert besser als in allen Proben.

Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ton für Ton, Takt für Takt, Satz für Satz. Es läuft. Adrenalin und pure Leidenschaft. Ein Jahr Proben, die Präzision des Chorleiters, die dramatische Musik des Mozart-Requiems, die gotische Kathedrale – ein einmaliges Erlebnis. Wir stehen im Applaus und strahlen.

Der Tag danach

Was für ein Wochenende: Der Beifall, die Begeisterung, die Presse, die festliche Atmosphäre, die herzlichen Begegnungen, neue und alte Freunde. Ich laufe tagelang mit einem breiten Grinsen herum und fühle mich als Heldentenor.

Singen? Ich will mehr davon!

Wenn du bereits Profi bist, kannst du meine Startschwierigkeiten natürlich überspringen und direkt bei uns einsteigen. Wenn du ebenfalls glaubst nicht singen zu können, komm zu einer Probe und finde es heraus. Daniel und alle Sängerinnen und Sänger freuen sich auf dich.

Wir sehen uns Freitag um 19:30 Uhr im Forum des Gymnasium Steinmühle
Hardy (Tenor)

3 Responses

  1. Wohl gesprochen! Und an alle Zauderer: Es gibt mehr „Analphabeten“ im Chor, als man glauben mag (mich zum Beispiel).
    Also, einfach mal ausprobieren!

    Gabi (Alt)

    • Die schönste Einladung zum Chorsingen, die ich je gelesen habe! Und an ähnliche Gefühle erinnere ich mich gut…..auch nach mehr als 35 Jahren im Chor. Ich freue mich auf unser gemeinsames Konzert am 3. März 2024. Silke vom Großen Chor der Frankfurter Singakademie

      • Liebe Silke
        Tausendmal Danke für deinen netten Kommentar. Wir sind schon sehr gespannt auf Euch und fiebern den beiden Konzerten mit Euch entgegen. Ich bin sicher, es wird ein großartiges Erlebnis. Wir sehen uns Samstag zur Generalprobe.
        Herzliche Grüße
        Hardy

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